aus: Der Heilpraktiker, 2019

 

Rezension von Udo Lorenzen, Heilpraktiker, Gastprofessor der Chengdu University of TCM, Medizinhistoriker M.A., Dipl. Sozialpädagoge

 

Buchrezension – Das Geheimnis der Goldenen Nadel

Die Entwicklung wahrer therapeutischer Kräfte aus den antiken Lehren der Chinesischen Medizin

Autoren: Michael G. Hammes und Roya Schwarz

Urban & Fischer Verlag/Elsevier 2018, 104 Seiten, gebunden, Preis: 22,00 Euro

 

 

 

Endlich einmal ein Buch, das über die standardisierte TCM hinausgeht! Die Verfasser gehen hier auf die altchinesische Tradition zurück, welche die Persönlichkeit des Therapeuten als die sine qua non einer erfolgreichen Behandlung ansieht. Diese Persönlichkeit gilt es zu kultivieren und zu vertiefen, damit der Shen seine wahre Absicht erkennt. Und die ist für einen Heiler nicht nur das Erkennen der Wurzel der Erkrankung und eine erfolgreiche Therapie, die „Goldene Nadel“ ist ein geflügelter Begriff in der chinesischen Medizinliteratur, der noch etwas anderes impliziert. Es geht hier nicht so sehr um Nadeln aus Gold, sondern um die Würdigung eines überragenden Arztes für seine außergewöhnlichen medizinischen und spirituellen Fähigkeiten. Der so ausgezeichnete Behandler ist ein Meister der Altchinesischen Medizin, in dessen Händen jede gesetzte Nadel eine wundersame Heilwirkung erzielt. So ist das Ziel der „Goldenen Nadel“, den Adepten zu wahrer Meisterschaft in der Akupunktur zu führen. Es liegt ein Geheimnis hinter dieser Heilkunst, die nicht jedem offenbart wird. Nur wenige streben sie an, die meisten geben sich mit einer symptomatischen Akupunktur zufrieden. 

 

So heißt es bei Xu Feng 徐鳳 im „Gedicht der Goldenen Nadel“, welches er in seiner Kompilation Zhen Jiu Da Quan 針灸大全 (1439 n. Chr.) zitiert:

 

„Bei diesem Gedicht der Goldenen Nadel galt es früher als wichtige Regel, es (das Wissen) als geheime Überlieferung durch einen Meister zu erlangen. Sehr oft wurde es privat aufbewahrt und war nicht für jedermann zugänglich. Man musste seinen Wert wie Gold behandeln, nur dann konnte man es erlangen. Ich sehe dies heute nicht mehr so starr und betrachte (so etwas) als künstliche Gesinnung. Mehr noch, ich sammle keine kostbaren Bücher sondern zeichne (es) lieber in einem Buch auf, mit derselben Absicht, die alle Lernenden haben (sollten). Der Schüler behandelt es (das Gedicht) sorgsam und unterschätzt es nicht. Wenn er es verarbeiten kann, dann liest er es laut und erkennt seinen Geschmack. Für eine lange Zeit sollte es studiert werden, um die Methode der Nadelung anwenden zu können. Wie könnte man sich darin erschöpfen?“

 

Das versuchen uns auch die beiden Verfasser des Buches „Das Geheimnis der Goldenen Nadel“ zu vermitteln! In 14 Kapiteln werden grundlegende Aspekte für das Erlangen dieser wahren Heilkunst beschrieben: Es werden die Besonderheiten der Altchinesischen Medizin gegenüber der TCM deutlich gemacht, die nur durch die Einsicht in die natürlichen Abläufe zu verstehen sind – Das Dao 道 ist allgegenwärtig, man muss es nur erfassen!

 

Somit sind die 81 Verse im Dao De Jing und die 64 Symbole des Yi Jing wichtige Quellen zu diesen Einsichten. Die Allgegenwart des Dao durchdringt auch dieses Buch und lässt einen ahnen, wohin die Reise gehen kann. Denn nur wenn die Behandlerin sich selbst erkennt und ihre Gesundheit pflegt, kann sie wirklich die Gesundheit ihrer Patientin verbessern. „Um die Fähigkeit eines Meisters der Altchinesischen Medizin zu erlangen, welcher in der Lage ist, seinen Patienten ganzheitlich zu erfassen, muss es dem Therapeuten gelingen, seinen Geist zur Stille zu bringen, damit sich seine Wahrnehmung über die Grenzen des Verstandes erhebt.“ 

 

Es folgen eine Reihe von Übungen zur Kultivierung von Qi, dann Übungen zur Kultivierung der Grundwesenheiten, nämlich der fünf Wandlungsphasen, denen jede ein Laut zugeordnet wird. Das laute Ausstoßen dieser Töne hat eine positive Wirkung auf das entsprechende Element. Diese sechs Laute gehen zurück auf den Alchemisten Ge Hong 葛洪 (280-340 n. Chr.), der sie als Übung entwickelte, um eine Fülle aus einem der Zang-Organe abzuleiten. Weiter werden im Buch Übungen zur Kultivierung der therapeutischen Fähigkeiten und des Geistes beschrieben. Alle Übungen sind mit schönen farbigen Zeichnungen versehen, die das Visuelle beim Erlernen der Übungen betonen. Kurz und gut – Die Fokussierung auf die Ideen der Altchinesischen Medizin erscheint mir sehr gelungen. Überhaupt ist der Ansatz, sich von der klinischen TCM zu distanzieren und historisch viel ältere Gedanken heranzuziehen, zu begrüßen. Denn nur so kann sich der Akupunkteur als Techniker zum ganzheitlichen Therapeuten entwickeln. Diese Veränderung kann nur über eine tiefgründige Persönlichkeitsentwicklung zustande kommen. 

 

Meiner Meinung nach haben wir in diesem kleinen Kunstwerk eine Perle unter den Büchern zur chinesischen Medizin, die sich deutlich vom mainstream abhebt. Möge es weitere Bücher von dieser Machart geben – Die Kultivierung der Absicht und des Geistes einer Therapeutin/des Therapeuten kann nicht hoch genug eingeschätzt werden!

 

Kiel, 13. Juli 2019